Voegtlis

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Dr. Peter Schütt

Hagebutten

Erzählungen und Skizzen
Die Wiederentdeckung eines literarischen Meisterwerks nach hundert Jahren

Es gilt, ein literarisches Meisterwerk zu entdecken, wiederzuentdecken: eine Sammlung von Erzählungen aus der Feder des Schweizer Kunstlers Julius Voegtli, der sich in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als Maler und Stadtplaner einen Namen gemacht hat, der nebenbei aber auch schriftstellerisch tätig war. Voegtlis Buch „Hagebutten. Erzählungen und Skizzen“ ist 1923 in der Buchdruckerei Kradolfer in Biel, seiner Heimatstadt und wichtigsten Wirkungsstätte, erschienen. Es geriet aber nach seinem Tod 1944 in Vergessenheit und ist erst jetzt dank der Aufmerksamkeit eines Erben, der die Erschließung des Nachlasses an die Hamburger Pashmin Art Gallery übertragen hat, wiedergefunden worden.

Voegtlis „Hagebutten“, benannt nach der selbst gekochten und nach Rosen duftenden Hagebuttenmarmelade, dem Leckerbissen der Dienstmädchen, umfassen fünfzehn „Erzählungen und Skizzen“, die vom Autor zu jedem Anfang und Ende mit Vignetten geschmückt wurden, Buchillustrationen im französischen Stil, wörtlich: „Weinblättchen“.

Skizze auf S. 68 in „Hagebutten“, bezogen auf die Geschichte „Mutterschaft“.

Die Vignette lässt Düsteres erahnen. Eine Mutter, wie eine Dienstmagd mit einer langen Schürze gekleidet, beugt sich voller Sorgen über ihr neugeborenes Kind, das nicht in einer Wiege, sondern in einem fahrbaren Wäschekorb liegt, als sollte es versteckt bleiben. Offenbar handelt es sich um ein heimlich zur Welt gebrachtes Kind. Das Bild wirkt düster, von nirgendwo kommt Licht.

Skizze auf S. 111 in „Hagebutten“, bezogen auf die Geschichte „Heim“.

Die Vignette, die der Erzählung „Heim“ vorangestellt ist, zeigt im Hintergrund die Kirche und Wohnhäuser von Voegtlis Geburtsort Malters. Im Vordergrund rechts steht ein Bauer neben seinem Fuhrwerk, das von zwei kräftigen Rindern gezogen wird. Der Bauer hält in der Hand eine Peitsche und auf dem Kopf – für einen Landwirt eher ungewöhnlich – einen Hut. Damit wird angedeutet, dass es sich um einen eigensinnigen Menschen handelt, der mit dem Kopf durch die Wand will. Die scheinbare dörfliche Idylle trügt offenbar. Der Held steht still, er scheint sich nicht von seinem dörflichen Umfeld zu trennen und weiß nicht, wie es mit ihm weitergehen soll.

140-7 Skizze auf S. 60, aus der Geschichte „Margarethe“

Margarethes Liebesgeschichte endet tragisch. Die glückliche Braut ertrinkt während der Hochzeitsreise bei einer Dampferfahrt über den Bielersee. Die Schlussvignette zeigt in einem runden Medaillon den hinterbliebenen Kaplan, tief gebeugt über den Küchentisch. Er trägt seinen schwarzen Diensttalar so, als bereite er sich auf die Begräbnisfeier für seine ertrunkene junge Frau vor. Es gibt keinen Trost. Nirgendwo leuchtet ein Licht auf. Der schwarze Talar des Trauernden beherrscht die ganze Vignette – das Gegenbild zur Eingangsvignette, die seine Braut im blütenweißen Kleid darstellt.

140-18 Skizze auf S. 119, aus der Geschichte „Leuen“

Als Eingangsvignette wählt Julius Voegtli verheißungsvoll das schmiedeeiserne und repräsentative Ornament, das den Eingang zu dem offenbar vornehmen Hotel ziert, in dem sich die nachfolgende tragisch endende Liebesromanze abspielt. Möglicherweise hat der Künstler ein real existierendes Gasthaus in Biel oder der Umgebung vor Augen. Der Löwe, der in Süddeutschland und der deutschsprachigen Schweiz durchweg „Leu“ heißt, steht sinnbildlich für gehobene Ansprüche und macht so die Leser neugierig.

Dr. Peter Schütt

Flammen in den Herzen

Ein Theaterstück

Julius Voegtli ist immer für eine Überraschung gut, als Maler ebenso wie als Autor. Zu seinen erstaunlichsten literarischen Hinterlassenschaften gehört neben seiner Kurzgeschichtensammlung „Hagebutten“ auch sein „Bundesfeierspiel“ mit dem Titel „Flammen in den Herzen“ aus dem Jahre 1936, also aus seiner späteren Schaffensperiode, die bereits vom Aufstieg des Faschismus und der wachsenden Kriegsgefahr geprägt wurde. Für den heutigen Leser ist allerdings eine Erklärung zu diesem erstaunlichen Literaturdokument notwendig. Der historische Hintergrund ist im deutschen Sprachraum vor allem durch Friedrich Schillers Schauspiel „Wilhelm Tell“ bekannt geworden. Alljährlich am ersten August, dem Schweizer Nationalfeiertag, erinnern die Bürger der Schweiz an den Rütlischwur, die Gründungslegende der alten Eidgenossenschaft, die auf das Jahr 1291 zurückdatiert wurde. Nicht zuletzt unter dem Einfluss von Schillers Drama entstand daraus im 19. Jahrhundert der Nationalmythos der modernen Schweiz. Nahezu alle bekannten Schweizer Autoren haben oft im staatlichen Auftrag versucht, die Legende vom Rütlischwur szenisch zu vergegenwärtigen, nicht selten auch in satirischer Verfremdung. Voegtlis „Bundesfeierspiel“ steht ohne Frage in dieser Tradition und hält sich in der Darstellungsform auch strikt an die vorgegebenen Normen.